Samstag, 15. Mai 2010

Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion.

von Josef Honerkamp
Über das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft wir oft diskutiert. Häufig wird von einem Gegensatz geredet, manchmal davon, sie hätten nichts mit einander zu tun. Was stimmt denn nun? Vielleicht sollte man sich zunächst einige charakteristische Merkmale von  Religion und Naturwissenschaft vor Augen führen, um Klarheit in dieser Frage zu erhalten.

Der Begriff Religion ist hier erst einmal von dem der Spiritualität abzugrenzen. Spiritualität ist ein allgemeineres Grundbedürfnis der Menschen, sie zielt auf die Herstellung eines vom Alltag enthobenen Bewusstseinszustands, nutzt dazu oft religiöse Vorstellungen, kommt aber mitunter auch ohne sie aus.  Religionen, die vergangenen wie die heutigen Buchreligionen, zeichnen sich dadurch aus, dass man in ihnen an einen Gott glaubt, an "jenes höhere Wesen, das wir verehren", wie es so schön bei Heinrich Böll in "Dr. Murkes  gesammeltes Schweigen" heißt. In den Religionswissenschaften wird dieses Wesen viel prosaischer, aber auch treffender als "übernatürlicher Akteur" bezeichnet.  Es gibt Weissagungen, Orakel, eine Bibel oder einen Koran, aus dem das jeweils höhere Wesen zu den Menschen spricht, und diese Worte sind Richtschnur für alles, ob nun dem Wortlaut  nach oder gemäß einer Interpretation.  Höchste Autorität ist also dieses Wort Gottes.  Alles, was über Gott und die Welt als "wahr" gelten will, darf  nicht im Widerspruch zu diesem Wort stehen.
Für die Naturwissenschaft gibt es auch eine höchste Autorität -  das ist die Natur. Und diese offenbart sich nicht in einem geschichtlichen Augenblick, sondern zeigt sich erst durch Anfrage, durch ein Experiment oder durch Beobachtung, lässt sich also nur Stück für Stück entdecken und die Erforschung der Natur ist ergebnisoffen: Es werden Hypothesen formuliert, die der Natur "zur Prüfung vorgelegt werden".  Das Bild, das man sich in den Naturwissenschaften von der Welt macht, wächst auf diese Weise stets in Anpassung an die Antworten der Natur.
Würde nun die Religion nur Aussagen über den "übernatürlichen Akteur" machen und die Naturwissenschaften nur über die Natur, hätten Religion und Naturwissenschaften nichts miteinander zu tun.
Aber so einfach ist es nicht. Die Naturwissenschaft kann zwar keine Aussagen über einen "übernatürlichen Akteur" machen, denn es gehört ja gerade mit zu ihrer Methode, nicht von einem solchen auszugehen. Naturwissenschaftler können höchstens die Hypothese, dass es einen solchen Akteur gibt, als für die Erklärung der Welt unfruchtbar zurückweisen. Religionen haben aber stets auch Aussagen über die Natur gemacht und sie tun es heute noch. Und da wird das Verhältnis zwangsläufig  zu einem Gegensatz, und das geschieht gleich zu Beginn der modernen Naturwissenschaft, als Galilei proklamierte, dass er eine neue Wissenschaft entdeckt habe und das Neue auch benannte: Die Berufung auf das Experiment als letzte Instanz und die Nutzung der Mathematik in der Beschreibung. Im Fall Galilei ging es nicht nur darum, ob sich die Erde um sich selbst dreht und ob die Erde oder die Sonne als Mittelpunkt des Universums anzusehen sind.  Es ging letztlich um die Hoheit in der Deutung der Naturphänomene.
Lange hatte die römische Kirche keine rechte Strategie gefunden, wie mit der damals aufkommenden Konkurrenz umzugehen ist. Im Antimodernisteneid, der in der  Regel den katholischen Priestern noch bis 1967 abverlangt wurde, musste das Primat der göttlichen Offenbarung in allen Dingen anerkannt werden. Galilei war noch nicht rehabilitiert, die Evolutionstheorie nicht akzeptiert.
Inzwischen scheint man sich arrangiert zu haben; es gehört unter christlichen Theologen inzwischen zum guten Ton, die Bibel nicht wörtlich zu nehmen. Wenn immer es dort um Aussagen über die Natur der Welt gehe, zeige sich dort nur das Wissen der damaligen Zeit. In der Ansprache von Johannes Paul II an die päpstliche Akademie der Wissenschaften am 31.10.1992, in der erklärt wird, wie die Kirche das "Schmerzliche Missverständnis im Fall Galilei" überwunden  habe, lautet das so: "Die Mehrheit der Theologen vermochte nicht formell zwischen der Heiligen Schrift und ihrer Deutung zu unterscheiden, und das ließ sie eine Frage der wissenschaftlichen Forschung unberechtigterweise auf die Ebene der Glaubenslehre übertragen" und etwas weiter wird auf eine Enzyklika von Papst Leo XIII. hingewiesen, in der von zwei Wahrheiten geredet wird, die sich unmöglich widersprechen können, so dass  ein Widerspruch nur auf einem Irrtum in der Deutung der heiligen Worte beruhen könne.
Das Primat der Naturwissenschaften auf dem Gebiet der Erforschung der Natur wurde also nun anerkannt. Aber damit war das Problem nicht ausgestanden. Was alles gehört zur Natur? War die Entstehung des Menschen ein natürlicher Vorgang? Nach der Bibel nicht, nach Darwin wohl und heute kann das Phänomen der Evolution an unzähligen Beispielen dargelegt werden. Auch hier hatte die Katholische Kirche größte Schwierigkeiten, diese Theorie zu akzeptieren. Erst im Jahr 1996 hat Papst Johannes Paul zugestanden, dass die Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese ist. Im katholischen Katechismus von 1995 zieht man sich zurück auf die Formulierung "Gott schafft die Dinge so, daß sie ermächtigt sind, bei ihrer eigenen Entwicklung mitzuwirken.", will Gott aber auch nicht tatenlos zu sehen lassen, und sagt etwas weiter: "Dabei wirkt Gott nicht nur am Anfang, um dann die Entwicklung sich selbst zu überlassen. Er hält die Wirklichkeit ständig im Sein, und er trägt und leitet sie auch in ihrem Werden. " 
Das nächste Rückzugsgefecht der katholischen Kirche ist aber schon vorprogrammiert.  Papst Johannes Paul betonte bei seiner Anerkennung der Evolutionstheorie, dass "Ansätze, die den Geist oder die Seele als Produkte der Materie betrachten, mit der Wahrheit unvereinbar" seien. Und Kardinal Schönborn schreibt im Vorwort (Seite 7-22) vom Buch "Jesus" von Papst Benedikt: Die Alternative "Materialismus oder geistig bestimmte Weltbetrachtung", "Zufall oder Sinn", stellt sich uns heute in der Form der Frage dar, ob man den Geist und das Leben in seinen ansteigenden Formen nur als einen zufälligen Schimmel auf der Oberfläche des Materiellen (das heißt des sich nicht selbst verstehenden Seienden) oder ob man ihn als das Ziel des Geschehens ansieht und damit umgekehrt die Materie als Vorgeschichte des Geistes betrachtet. Trifft man die zweite Wahl, so ist damit klar, daß der Geist nicht ein Zufallsprodukt materieller Entwicklungen ist, sondern daß vielmehr die Materie ein Moment an der Geschichte des Geistes bedeutet. Dies aber ist nur ein anderer Ausdruck für die Aussage, daß Geist geschaffen und nicht pures Produkt der Entwicklung ist, auch wenn er in der Weise der Entwicklung in Erscheinung tritt. 
Dabei halten immer mehr Wissenschaftler es aufgrund ihrer Forschungen für selbstverständlich, dass auch geistige Fähigkeiten und Selbstbewusstsein im Laufe der Evolution stetig gewachsen sind und so den heutigen Stand bei den Menschen erreicht haben. Eine solche Hypothese passt zu allen Funden der Paläoanthropologie; intellektuelle Fähigkeiten und psychische Befindlichkeiten findet man in Ansätzen auch bei den Primaten. Für die gegenteilige Hypothese, dass durch einen Eingriff eines übernatürlichen Akteurs der Geist in die Welt gekommen sei, gibt es keinerlei sachliche Anhaltspunkte. Auch unser Bewusstsein ist "natürlich".
So werden auch obige Aussagen revidiert werden, die Rückzugsposition ist eigentlich schon klar und endlich unangreifbar: Der damalige Kardinal Ratzinger hat sie so formuliert: "Das christliche Bild der Welt ist, daß die Welt im einzelnen in einem sehr komplizierten Evolutionsprozeß entstanden ist, daß sie aber im tiefsten eben doch aus dem Logos kommt. Sie trägt insofern Vernunft in sich". (Gott und die Welt, München 2000, S. 119. ).
Gegen dieses Bild kann man nichts einwenden, es ist ja eine Bewertung, keine Aussage, die überprüfbar ist, es ist eben, wie es sich eigentlich für eine Religion ziemt, ein Glaube.

Und dann sind wir wieder in der Situation, dass Religion und Naturwissenschaft nichts mit einander zu tun haben. Man sollte dann aber nicht davon reden, dass Naturwissenschaft und christliche Religion zwei verschiedene Erkenntnisweisen sind. Das verschleiert nur den großen Unterschied: Erkenntnisse der Naturwissenschaften kann jeder nachprüfen, der sich nur  genügend darum bemüht, "Erkenntnisse" des Glaubens sind dagegen persönliche Einsichten, abhängig von der Kultur, in der man aufgewachsen ist. Ein Glaube über etwas, was grundsätzlich nicht überprüfbar ist, wie das Hineinlegen eines Sinns in etwas, ist eben etwas ganz anderes als Erkenntnis.

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